Kompositio – Literatur, Fleisch und die Bühne

Was passiert, wenn zehn Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Texte mit professionellen Theaterregisseuren dramatisieren und kollektiv auf der Bühne präsentieren? Wie machen sie das, wenn man noch dazu die Herausforderung hat, dass das Publikum die Originalsprache nicht versteht?

Das ist der faszinierende Ausgangspunkt des Projektes “Kompositio – finnische Literatur auf der Bühne”, in dessen Rahmen eine finnische Autorengruppe im Oktober 2014 durch die Schweiz, Österreich und Deutschland reist und in sieben Städten auftritt. Das Projekt ist von dem Literaturverein Nuoren Voiman Liitto entwickelt worden und steht mit dem Gastlandstatus Finnlands auf der Frankfurter Buchmesse 2014 in Verbindung.

Die Idee für Kompositio ist entstanden, weil man zur Zeit in Finnland viel mit neuartigen Literaturvorstellungen experimentiert: man kombiniert Tanz und Literatur, formt Literaturbands und bringt Literatur in öffentliche Orte. Weil finnische Literatur dieses Jahr viel Aufmerksamkeit in den deutschsprachigen Ländern bekommt, wollten wir, dass auch diese performative Seite des finnischen Literaturlebens bei dem Gastlandprojekt mitwirkt.

Zusätzlich wollten wir Literatur so präsentieren, dass nicht die Person des Autors oder der Autorin, sondern die Texte als solche im Vordergrund stehen. Gleichzeitig ist es interessant, dass diese Texte von einer Autorengruppe dargestellt werden. Jeder Text in “Kompositio” ist anders, und jeder Autor präsentiert die Texte anders. Trotzdem konnte man schon während der ersten Probewoche im Juni sehen, dass die Texte nicht nur neue Dimensionen bekommen, sondern auch eine Ganzheit schaffen, die niemand am Anfang erahnen konnte.

Maria Matinmikko, eine von den beteiligten Autorinnen, sagt, dass das Projekt für sie interessant ist, weil die Autorinnen und Autoren selbst als Darsteller auf der Bühne stehen. “Also das Fleisch und das Leben, das den Text produziert hat, wenn man so sagen darf.”

Auch Regisseurin Anna-Mari Karvonen und Regisseur Akse Petterssonsprechen darüber, wie das Projekt auf eine spannende Weise mit dem Verhältnis zwischen Text und Körper spielt. Etwas, was von diesen Autoren entstanden ist, wird zurück in ihre Körper aufgenommen und verwandelt sich in diesem Prozess.

Maria Matinmikko findet es auch spannend, wie man zusammen in der Gruppe Ideen entwickelt und Verknüpfungen zwischen den Texten schafft. “Ideen zu entwickeln ist wie spielen. Man arrangiert Blumen auf der Festtafel, die der folgende Text in einen Tatort oder Campingplatz verwandelt, oder zu einem Ort für einen Liebesakt.”

Lyrikerin Kaisa Ijäs glaubt, dass sie auch etwas von ihrem Schreiben lernt, wenn die Bühne des Textes eine performative Bühne wird, auf der man steht. “Auf der Bühne ist man gezwungen, mit dem Text, den man einmal geschrieben hat, nochmal zu ringen. Man muss Bedeutungszusammenhänge abbauen und umbauen.”

Riikka Pelo, die 2013 den renommierten Finlandia-Preis für Literatur mit ihrem Roman Jokapäiväinen elämämme (“Unser tägliches Leben”) gewonnen hat, spricht über die besondere Bedeutung von Deutschland und der deutschen Sprache für die zweite Protagonistin ihres Romans, die russische Dichterin Marina Zwetajewa. Das hat eine große Rolle in ihrer Entscheidung gespielt, an “Kompositio” teilzunehmen.

“Deutsch war Zwetajewas zweite Muttersprache, die Sprache von Goethe und Hölderlin, aber auch von Zwetajewas schweizerischen Mutter Maria Meyn. Zusätzlich war der deutschsprachige Briefwechsel von Zwetajewa und Rainer Maria Rilke ein früher Antrieb für den Roman. Auf der Kompositio-Tournee kann ich Zwetajewa vor einem deutschsprachigen Literaturpublikum ins Leben rufen.”

“Kompositio” ist also nicht nur eine Literaturtournee sondern auch ein einmaliger künstlerischer Prozess und ein Zusammenkommen von aktuellen Stimmen des finnischen Literatur- und Theaterlebens. Man kann das Ergebnis nicht ganz unter Lesung, Theater, Tanz, Musik oder performance art einordnen – man könnte sogar sagen, dass es um eine neue Gattung geht, obwohl sie auch aus den Obengenannten schöpft.

Es wird auch interessant sein zu sehen, wie diese ins Leben gerufenen Texte mit dem deutschsprachigen Publikum kommunizieren. Fünf Übersetzer übersetzen im Sommer 2014 die noch nicht auf Deutsch erschienenen finnischsprachigen Texte. Die Übersetzungen werden teilweise gelesen und gesprochen, teilweise als Text projiziert. Sie werden auch als Buch gedruckt, das in den Vorstellungen erhältlich sein wird. So wird das deutschsprachige Publikum neue finnische Literatur sowohl in Form eines Bühneneindrucks als auch in Buchform erleben können.

 

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Dr. Kaisa Kaakinen
Literaturwissenschaftlerin und Koordinatorin von “Kompositio – finnische Literatur auf der Bühne”
Die beteiligten Autoren: Aina Bergroth, Pauliina Haasjoki, Kaisa Ijäs, Matti Kangaskoski, Maria Matinmikko, Riikka Pelo, Mikko Rimminen, Eino Santanen, Satu Taskinen, Henriikka Tavi
Regie: Anna-Mari Karvonen, Akse Pettersson
Organisation: Literaturverein Nuoren Voiman Liitto in Zusammenarbeit mit FILI – Finnish Literature Exchange, Bildungs- und Kulturministerium Finnlands, Arts Promotion Centre Finland und Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Die Veranstaltungen sind Teil des Satellitenprogramms COOL2014 aus Anlass von Ehrengast Finnland bei der Frankfurter Buchmesse 2014Den Kompositio-Tourneeplan findet ihr hier.