Finnische Comicliteratur erobert Deutschland

Neben der herkömmlichen belletristischen Literatur fokussiert sich das Gastland Finnland auf der Frankfurter Buchmesse 2014 auch auf seine aktive und international renommierte Comicszene

Frankfurt, 03. Juni 2014 – Farbenfroh, jung und lebendig. So kann Finnlands Literaturszene grob umschrieben werden und dieses Image portraitiert keine andere Literaturgattung so treffend wie die der Comics. Was von der Nachkriegszeit bis in die frühen Siebziger mit den Mumins von Tove Jansson begann, wird heute von Künstlern aus der modernen Comicszene wie Ville Tietäväinen expressiv und experimentierfreudig fortgesetzt.

An diesen beiden Beispielen wird auch die thematische und gestalterische Bandbreite des finnischen Comics deutlich. Die Welt von Tove Janssons Mumins ist geprägt von Alltagsproblemen und äußeren Bedrohungen des Mumintals, doch auch fröhliche Abenteuer sind Teil des Muminuniversums. Dabei werden Toleranz und ein freundliches Miteinander vermittelt. Die in den Geschichten der Mumins dargestellten Konflikte und Lösungsansätze sind nahezu zeitlos und können in die Gegenwart übertragen werden. Ville Tietäväinen wird in seiner Arbeit viel konkreter. Er versucht in seinen Comics gesellschaftlich aufzuklären, äußert sich sozialkritisch wie politisch. Seine Geschichten behandeln konkrete Themen, denen er in seinen Graphic Novels gestalterisch und thematisch auf den Grund zu gehen versucht.

„Finnische Comicautoren sind für ihre anspruchsvolle visuelle Gestaltung und zeichnerische Qualität bekannt. Zeichner wie Ville Tietäväinen arbeiten mit experimentellen, herausfordernden und einzigartigen Stilen, um sich ständig weiterzuentwickeln. So etwas wie eine grafische Tradition im Comic gibt es bei uns nicht, weshalb fortwährend neue Genres und visuelle Eindrücke entstehen“, erklärt Kalle Hakkola, Leiter des finnischen Comic Centers in Helsinki.

Die finnische Comicszene ist seit einigen Jahren überaus aktiv und erfährt nicht nur durch das Engagement der jeweiligen Autoren ein rasantes Wachstum. 9,7 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr mit finnischen Comics umgesetzt. Darüber hinaus fördert der Staat die Comic-Kultur finanziell, sodass sich die Comicszene Finnlands im eigens eingerichteten Comic Center organisieren und von dort aus neue Geschichten und Zeichner unterstützen kann. Das Kulturministerium investiert 300.000 Euro pro Jahr in die heimische Comicszene. Auch FILI, Finnish Literature Exchange, fördert den Export finnischer Comics: Mit bis zu 1.000 Euro werden beispielsweise Übersetzungen und Druckkosten bezuschusst. Comics genießen in Finnland Kultstatus. Nicht umsonst findet jährlich im September in Helsinki das größte Comic Festival Nordeuropas statt.

„Ein erstes Zeichen für die immer weiter steigende Popularität der Comics ist, dass zwei der zehn kommerziell erfolgreichsten Bücher Finnlands im vergangenen Jahr Comics waren“, sagt Maria Antas, Literatur-Expertin von FILI. „Eine weitere Besonderheit, die die finnische Comicszene von denen anderer Länder unterscheidet ist, dass die meisten grafischen Erzählungen hier von Frauen gezeichnet werden“, so Antas weiter.

Die Bildergeschichten sind in Finnland nicht per-se etwas für Kinder und können durchaus ein erwachsenes Publikum anspruchsvoll begeistern. „Nebenbei scheuen sich viele Finnen nicht davor, zuzugeben, bei der Lektüre von Comics überhaupt erst das Lesen gelernt zu haben“, berichtet Kalle Hakkola.

Um Wegbereitern wie Tove Jansson – die in diesem Jahr 100 Jahre alt werden würde – Tribut zu zollen, wird Finnland als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse (8.–12. Oktober) dem Comic einen anspruchsvollen und mit internationaler Strahlkraft ausgestatteten Rahmen geben. Zahlreiche junge Comiczeichner werden vor Ort sein, um die bunte Vielfalt ihres Landes vorzustellen. Darunter der renommierte Ville Tietäväinen, dessen sozialkritische Graphic Novel „Unsichtbare Hände“ (erschienen 2014 im avant Verlag) von dem marokkanischen Flüchtling Rashid erzählt, der illegal in Südspanien Arbeit sucht, um seine Familie ernähren zu können. Für dieses zwanglose Werk wurde er mit dem Comic-Finnlandpreis ausgezeichnet. Bereits ein Jahr zuvor wurde ihm der Preis des finnischen Kulturfonds überreicht.

„Es ist sehr schön anzusehen wie Graphic Novels auch in Deutschland immer mehr Freunde finden – das Potential in dieser künstlerischen Erzählform ist sicher noch lange nicht ausgeschöpft“, freut sich Ville Tietäväinen über den hohen Zuspruch für Comics und Graphic Novels in Deutschland.

Neben sozialkritischen und ernsten Themen behandelt die gemeinhin wohl bekannteste Comicform, der Comic-Strip, kontroverse Themen mit beißendem Humor (beispielsweise „Fingerpori“) – ganz im traditionellen Stil der Underground-Comics. Dazu führt Kalle Hakkola vom Comic Center aus:

„Die erfolgreichsten Comics sind jene, die vor der Veröffentlichung als Buch in der Zeitung erschienen. Finnland selbst ist mit seinen rund fünf Millionen Einwohnern ein sehr kleiner Markt, weshalb die Autoren ihre Comics thematisch direkt international ausrichten. Aus diesem Grund sind sie weltweit verständlich und die Inhalte in jeder Kultur aktuell.“

Um die Reputation und Bekanntheit des Comic im Allgemeinen – und den finnischen Erzählungen im Speziellen – zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, besuchen die finnischen Künstler im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse eine Reihe von Veranstaltungen im deutschsprachigen Europa. Darunter das Comic Festival Fumetto, das vor kurzen im schweizerischen Luzern ausgerichtet wurde. Ville Tietäväinen war bereits im Mai beim Literarischen Colloquium (LCB) in Berlin zu Gast. Im Anschluss daran wird im Juni der Internationale Comic Salon in Erlangen (vom 19.–24. Juni) ausgerichtet. Mit dabei sind hier u.a. die finnischen Künstler JP Ahonen, Mika Lietzén und Reetta Niemensivu. Die Ausstellung „Ein Mittsommernachtstraum“ im Kunstverein – Neue Galerie widmet sich den jungen Comics aus Finnland, in das Rathaus von Erlangen werden die Mumins im Rahmen der Ausstellung „100 Jahre Tove Jansson“ einziehen.

Einen guten Einblick in die finnische Comicwelt bietet der Comic Atlas Finnland, der bereits zu Jahresbeginn im Reprodukt Verlag erschien. Die Herausgeber Kalle Hakkola und Sascha Hommer geben in dieser Anthologie durch Beiträge von Künstlern wie Roope Eronen, Matti Hagelberg, Jarno Latva-Nikkola, Mika Lietzén, Hanneriina Moisseinen und vielen Weiteren auf 240 Seiten einen bunten Abriss der avantgardistischen Comicszene Finnlands. Um die literarischen Bande zwischen Finnland und Deutschland in Sachen Comic noch weiter zu stärken wird vom 5.-7. September Deutschland Ehrengastland auf dem Helsinki Comic Festival sein. Auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2014 werden dann die Stars der finnischen Comicszene zu Gast sein, um dem deutschen Leser eine noch größere Bandbreite an eigenwilligen finnischen Comics zu präsentieren, die keinen einheitlichen Stil kennen und jeder für sich eine individuelle Qualität besitzt.

 

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